Donnerstag, Juni 15, 2006

Ziteil, Oberhalbstein - Erscheinung der Gottesmutter

S. Maria Mumma de Ziteil


Bericht des Landvogtes des Hochgerichtes Oberhalbstein, Albert de Baselgia, zu Handen des apostolischen Nuntius, Giovanni Francesco, Bischof von Vercelli, gegeben am 6. Juli 1580:

Heute sind es drei Wochen, daß im Oberhalbstein einem 18jährigen Mädchen, das auf den Berg gegangen war, um Holz zu sammeln, eine von Statur kleine und weißgekleidete Frau erschienen ist, die ihr Gesicht mit einem weißen Schleier verhüllt hatte. Sie sprach zum Mädchen also:
"Gehe hin und sage dem Volk im Land Oberhalbstein, es habe nun soviel gesündigt, daß nicht noch mehr ertragen werden könne. Wenn es sich nicht bessere, werde Gott es streng bestrafen, so daß er nicht nur die Feldfrüchte verdorren, sondern auch das Volk vom Jüngsten bis zum Ältesten sterben lassen werde. Ich kann bei meinem Sohn für dieses Volk nicht mehr Fürbitte einlegen".
Nachdem die Frau verschwunden war, wagte das Mädchen niemandem etwas davon zu sagen. Am folgenden Tag, als es zum gleichen Ort kam, erschien ihm neuerdings die gleiche Frau und frug es, warum es dem Volk nicht gesagt habe, was sie ihm aufgetragen hatte. Als das Mädchen antwortete, es habe nichts sagen dürfen, wiederholte sie nochmals das gleiche, hinzufügend, es solle keine Angst haben und dem Volk sagen, es solle Buße tun und mit dem Kreuz Prozessionen halten und dann werde ihm Gott leicht die Sünden verzeihen. Das Mädchen solle diesmal nicht unterlassen, das Aufgetragene dem Volk mitzuteilen, sonst werde es selber bestraft werden.
Trotzdem wagte das Mädchen nicht, etwas hievon jemandem mitzuteilen. In der folgenden Nacht, als es neben der Mutter schlief, fing eine Stimme an, das Mädchen zu rufen. Als die Mutter zum zweiten Mal die Stimme vernahm, frug sie, wer da rufe. Als die Antwort kam, man rufe nicht sie, sondern die Tochter, weckte sie diese, und die Stimme wiederholte dasselbe wie die zwei früheren Male. Da frug die Mutter ihre Tochter, was vorgefallen sei und ob die Frau schon früher mit ihr gesprochen habe. Nachdem sie von der Tochter alles vernommen hatte, erzählte die Mutter am folgenden Tag alles einer anderen Frau, und diese erzählte es ihrem Mann. Dieser aber erstattete dem Landvogt des Hochgerichtes Bericht. Aus diesem Grund nahm der Landvogt Mutter und Tochter ins Verhör. Nachdem er die Wahrheit erfahren hatte, verordnete er Prozessionen, an denen jedesmal über 3000 Personen teilnahmen.
Als die erste Prozession nach dem Ort der Erscheinung innert acht Tagen stattgefunden hatte, begab sich ein 16jähriger Knabe auf einen anderen Berg, auch im Oberhalbstein, und kam zu einer kleinen Quelle, wo er eine Frau im Gebet knien sah. Da er sich fürchtete, wollte er umkehren, um zwei Männer zu rufen, die mit ihm heraufgekommen und etwas weiter entfernt waren, damit sie die Frau auch sehen. Diese rief jedoch den Knaben liebevoll zu sich her und sagte ihm das gleiche, was sie dem Mädchen gesagt hatte, hinzufügend, sie habe nicht aufgehört, zu ihrem Sohn für das Volk zu beten. Aber es sei nötig, daß das Volk sich aufrichtig bekehre und fortfahre, Prozessionen zu halten, wie es angefangen habe, ansonst sie nicht erhört werde. Als sie von dannen schied, sah er ihr gerötetes Knie, als ob sie zeigen wollte, man müsse sich beim Gebet abmühen. Nachdem er nur wenige Schritte fortgegangen war, kehrte er sich um, um die Frau zu sehen, doch sie war schon verschwunden.
Als man anfing, Prozessionen zu halten, fingen alle verdorrten Feldfrüchte wieder zu grünen an und weckten Hoffnung auf eine sehr gute Ernte.

Dieser Bericht befindet sich im Vatikanischen Archiv. Es wurde unterlassen, eine kirchliche Bestätigung dieser Ereignisse zu erwirken. Jedoch wird niemand vernünftigerweise die Echtheit dieser Erscheinungen leugnen. Die Glaubwürdigkeit spricht vor allem aus dem Inhalt der Botschaft Marias, der auf das Wesentliche geht: Bekehrung, Buße und Gebet. Diese Forderungen stimmen auffallend mit den späteren Aussagen der Gottesmuttter in Lourdes und Fatima überein. Die Überlieferung berichtet, daß der Hirt GIATGEN DIETEGEN DE MARMELS geheißen habe und daß zur Bekräftigung seiner Aussage an jenem Abend Ziteil im strahlenden Licht erglänzt sei.
Wohl gleich nach der wunderbaren Erscheinung wird eine kleine Kapelle gebaut worden sein. Ziteil liegt 2434 m über Meer und dürfte der höchstgelegene Wallfahrtsort Europas sein. Zunächst sind sicher viele Gläubige hinaufgepilgert. Aber infolge der Abgelegenheit wurde Ziteil bis in die neueste Zeit kaum über die Kantonsgrenzen bekannt. So wuchs dieser Gnadenort nur langsam zur heutigen Bedeutung.
Im Jahre 1679 ließ Pfarrer Johann Gaudenz Janett den alten Altar durch einen neuen ersetzen. Dr. Florian Candrian von Obervaz, Pfarrer in Salouf und Custos von Ziteil von 1682 bis 1725, brachte den Wallfahrtsort zu neuer Blüte. Ein Pilgerhaus mit einer Stube und zwei Schlafkammern wurde gebaut und die Kapelle sehr wahrscheinlich bedeutend vergrößert. Diese wurde dann am 24. Juni 1710 durch Bischof Ulrich Federpsiel konsekriert, und seither wird in Ziteil am 26. Juni das Kirchweihfest gefeiert. Der Hauptaltar wurde zu Ehren der Heimsuchung Mariens geweiht. 1724 ließ Pfarrer Johann de Lille die wunderbaren Gebetserhörungen auf einer großen Votivtafel darstellen. Seit 1746 übernahmen die Kapuziner die Pfarrei Salouf und damit die Seelsorge in Ziteil. 1846 ließ P. Severin das jetzige alte Pilgerhaus bauen, wozu hauptsächlich die Bevölkerung des Tales die nötigen Mittel beisteuerte. Als letzter Kapuziner amtete der Dichtermönch und innige Marienverehrer P. Alexander Lozza von 1919 bis 1936 als Custos von Ziteil. Durch seine Gedichte und Novellen, und vor allem durch seine dramatisierte Darstellung der Erscheinungen in Ziteil, hat er im romanischen Volk das Vertrauen zu NOSSA DONA DA ZITEIL verstärkt.
Unter Pfr. Josef Baselgia, Riom, der als Custos den kranken P. Alexander vertrat, wurde im Jahre 1949 ein neues Pilgerhaus dem alten angefügt. So erhielt man zwei neue Pilgerstuben, die 1953 zusammen mit dem Hausgang zu einem einzigen Saal umgestaltet wurden, damit der Platz noch besser ausgenützt werden könne. Ferner erhielten die Geistlichen im Neubau sechs praktische kleine Zimmer mit Beichtstuhl. Inzwischen wurden 1955 im Dachstock gute Matratzenlager für 75 Personen eingerichtet und am Rosenkranzfest 1959 konnte Weihbischof Johannes Vonderach (nachmals Bischof von Chur) die Altarweihe des Kirchenneubaus vornehmen.
In Ziteil ist kein Kloster. Als Custos amtet der Pfarrer von Salouf. Darum kann das Heiligtum nur an bestimmten Tagen geöffnet werden. Wegen der Abgelegenheit kann auch der Schlüssel zur Kirche nicht ausgeliehen werden. Man muß darum die folgenden Wallfahrtstage notieren: 26. Juni (Kirchweihfest): 29. Juni (Peter und Paul); 2. Juli (Mariae Heimsuchung); 11. Juli (Plazidus und Sigisbert); 22. Juli (Magdalena); 25. Juli (Jakobus); 26. Juli (Anna); 5. August (Maria Schnee); 10. August (Laurentius); 16. August (Rochus); 24. August (Bartholomäus); 8. September (Mariae Geburt); 21. September (Matthäus); 29. September (Michael). Es sind dies jene Tage, die in früheren Jahrhunderten auch im Tal gefeiert wurden. Ziteil ist am Vorabend genannter Tage von 14 Uhr an geöffnet.
Die meisten Pilger wallen am Vorabend der Wallfahrtstage nach Ziteil.
Der ordentliche Weg führt über Salouf. Bevor man in den Wald eintritt, kommt man zu einer Abzweigung. Rechts führt der meistbegangene Weg nach Munter und von dort links sich wendend nach Ziteil in etwas dreieinhalb Stunden. Wählt man ob Salouf den etwas beschwerlicheren, aber kürzeren Weg, der links abschwenkt, so kommt man ebenfalls nach Ziteil in etwas 3 Stunden. Es gibt auch Pilger, die den Weg über Solis-Stierva-Ziteil wählen. Jedenfalls soll, wer sich nicht gut auskennt, nicht bei Nacht und Nebel hinaufpilgern, sonst kann man leicht vom rechten Weg abirren. Mit Fahrzeugen darf man nicht weiter als bis Munter fahren. Die weihevolle Stille, die ein wichtiges Merkmal von Ziteil ist, soll nicht durch lärmende Jeeps gestört werden.

Duri Lozza, Custos

Aus: "Das Zeichen Mariens", 6. Jahrgang, Nr. 9, Januar 1973, Seiten 1799 ff.
Dazu folgende Beiträge:

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